Outdoor-Gottesdienst am Baldeggersee
Als ich die Anfrage erhielt, am 22. September einen Gottesdienst zu gestalten «ganz so, wie ich möchte», kam mir meine ehemalige Professorin in den Sinn. Sie erzählte uns, dass sie in ihrer Gemeinde einen Kirchgänger hat, welcher sich als «Wüstwetter-Christ» bezeichnete: «Ich komme nur in die Kirche, wenn es draußen regnet. Bei schönem Wetter zieht es mich in die Berge, um zu wandern.» «Wie recht der Mann hat!», dachte ich mir schmunzelnd und horchte gleichzeitig auf. Müssen sich denn die beiden Herzenswünsche ausschließen? Also entschied ich mich, meinen Gottesdienst am 22. September draußen abzuhalten.
Nein, die beiden Sehnsüchte, die eigene Spiritualität zu leben und in der Natur zu sein, müssen sich nicht ausschließen. Ich denke, dass wir als kirchliche Gemeinschaft viel mutiger sein dürfen und die beiden viel dichter zusammendenken und -leben sollten. Gründe dafür gibt es sicher viele. Die folgenden sind die meinigen.
Anfangen möchte ich mit den traditionellen Gottesdiensten. In ihrer Form wollen sie herausragen und einen Bruch zum Alltäglichen darstellen. Sie werden am Sonntag, dem Ruhetag und Tag des Herrn, gefeiert. Die festliche Kleidung wird aus dem Schrank geholt, im Gotteshaus Platz genommen und während der Gottesdienste gibt es Zeit zur Kontemplation. Die sonst tätigen Hände bekommen Pause und dürfen ruhig im Schoß liegen bleiben. Es ist das Kontrastprogramm zum Alltag. Besonders zum Alltag von früher! Jenes «Früher», als viel mehr Menschen draußen körperlich hart arbeiten und sich die Hände schmutzig machen mussten. Diese Menschen gibt es heute natürlich immer noch, doch sind sie eine Minderheit. Die meisten Menschen verbringen ihren Arbeitsalltag meist drinnen, am Schreibtisch sitzend. Diese Arbeit kann zwar auch interessant und spassig sein. Es hat aber zur Folge, dass der ruhige, kontemplative Kirchenbesuch am Sonntagmorgen kein Kontrastprogramm mehr darstellt. Viel mehr sind es dann die aktivierenden Naturerlebnisse draussen.
Damit komme ich zu meinem zweiten Punkt: Zur großen Sehnsucht nach Sinn in unserem Leben. Dieser berühmt-berüchtigte «Lebenssinn» wird von jedem Menschen ganz individuell definiert. Naturerlebnisse vermögen auf besondere Weise ihren Teil zu unserem Sinn des Lebens beizutragen. Sie sind sinn-stimulierend. Wir hören die Vögel, wir riechen die Blumen, wir spüren das kalte Wasser eines Baches und wir sehen das Bergpanorama. Die Natur, die Schöpfung, die Gott als «sehr gut» bezeichnete, macht unser Erleben und Leben sinn-voll.
Zum dritten und letzten Punkt möchte ich mich noch der Bibel zuwenden: In Mt 5,1 lese ich, dass Jesus auf einen Berg stieg, um zu den Leuten zu predigen. In Lk 6,17 auf ein ebenes Feld. In Mt 6,25-34 nimmt er ein Beispiel an den Vögeln des Himmels und den Lilien auf dem Feld. Und dann noch die Gleichnisse vom Sämann und dem Samen (Lk 8,4-15) oder vom Senfkorn (Mk 4,30-32), die in der Sprache gemachter Naturerfahrungen sprechen. Alle diese Beispiele zeigen: Jesus, der Wanderprediger aus Nazareth, überbrachte den Menschen die Frohe Botschaft in und aus der Natur. Sie war seine Quelle, seine Inspiration, sein Fundament und sein sprachlicher Zugang zu Gott. Wenn wir uns also das traditionelle protestantische Schriftprinzip (sola scriptura) zu Herzen nehmen, so führt dieses uns mitten in die Schöpfung hinein.
Theologiestudentin Raffaella Felder