Kirchensplitter Oktober - Abgeschminkt

Wer kennt noch Lucianne Stump? Das ist die beeindruckende Dame aus Aesch, die jahrzehntelang unentwegt Spenden für Armenien sammelte, und davon eine Schule neu bauen liess und viele arme Familien unterstützte. Nun ist sie 87. Alle paar Wochen schaue ich bei ihr im Haus Erlosen in Hitzkirch vorbei.  

Donnerstag, 3. Oktober 2024

Lucianne Stump: "Das kannst du dir abschminken." Lucianne Stump: "Das kannst du dir abschminken."

Zuerst eine Runde mit dem Rollstuhl durchs Dorf (für Lucianne frische Luft und für mich Bewegung …). Dann zurück ins Zimmer und: Diese Woche gemeinsam ein wehmütiges Klagelied gesungen über alles, was man im Alter nicht mehr so kann wie früher. 

Also: Die Hände wollen nicht schreiben und nicht malen. Der Kopf kann sich nichts mehr merken. Auch ich fühle mich plötzlich alt. Die Berge, die unsereins noch bezwingen kann: Einst stolze Alpengipfel, werden durch sanfte "Hoger" ersetzt. Bei genauem Hinsehen fängt der Verlust an Fähigkeiten oft schon sehr früh an. Einmal, mit 16 Jahren, bin ich den Kilometer unter drei Minuten gelaufen, danach nie wieder. 

Wir zählen weiter auf, was wir nicht mehr können. Plötzlich sagt Lucianne: "Das kannst du dir abschminken". Wir müssen lachen. Auf einmal sehen wir die Sache mit anderen Augen. Als sei das Leben eine grosse Theatervorstellung. Und wenn die Vorstellung beendet ist, wird abgeschminkt. Wir wissen in dem Moment: Die Show ist vorbei. Wir hängen den grellen Blazer in den Schrank.

Beim Abschminken sitzen wir hinter der Bühne in der Garderobe und üben uns in der Kunst, von unserer Haut die künstliche Farbe und den Glanz und den Glitter abzunehmen – und zwar mit guten Gefühlen. Lucianne meint: "Abschminken will gelernt sein". Ich gebe zu bedenken: "Vielleicht kommt darunter zum Vorschein, wer man eigentlich ist". So wie der Apostel Paulus meinte, am Ende würde man erkennen, wie man von Gott erkannt wird. Der Gedanke gefällt ihr sehr. Ich frage sie noch, ob ich unser Gespräch für den Kirchensplitter verwenden darf. Freudige Zustimmung. Das Bild sei sehr schön!

Pfarrer Christoph Thiel